Das Thema polygame Beziehung, offene Beziehung oder auch freie Partnerschaft ist voll im Trend. Was genau jeder genau darunter versteht, bleibt dafür oft unklar.
Letztlich wird also wieder mit irgendwelchen Modellen und trendigen Bezeichnungen um sich geworfen, ohne dass auf das geachtet wird, was in der Liebe wirklich zählt:
(Mindestens) zwei glückliche Menschen!
Lass uns in den nächsten 4 Minuten mal schauen, ob wir überhaupt so hart zwischen einer polygamen (vereinfacht: Sex mit mehreren Partnern ist okay) und einer monogamen Beziehung (Sex nur mit dem Partner) differenzieren müssen.
Oder ob es vielleicht eine viel bessere Lösung gibt!
Polygame Beziehung: Kurzdefinition
Ohne jetzt allzu tief in biologische Definitionen abtauchen zu wollen:
Im Folgenden verstehe ich darunter (wie auch unter einer offenen Beziehung) diese beiden Abmachungen:
- Sex mit anderen ist in Ordnung. Ob gewünscht, geliebt oder geduldet ist nochmal eine andere Frage
- Gefühle zu anderen Sexpartnern zu entwickeln ist hier (anders als in der polyamoren Beziehung) definitiv ein schwieriges Feld – hier gibt es in der Realität sehr viele Probleme und Lösungen
Kurz zusammengefasst:
Es sind viele Freiheiten möglich, aber es entsteht auch erhöhter Kommunikationsbedarf, da sich Themen wie Eifersucht und Verlustangst hier nicht verstecken lassen!

Monogame Beziehung: Kurzdefinition
Die meisten Paare leben so, allerdings gibt es sehr oft keine expliziten Absprachen (im Übrigen empfehle ich die hier trotzdem!). Implizit werden daher meistens diese Regeln angenommen:
- Sex mit anderen ist nicht okay, wenn es doch passiert und dann rauskommt endet das nicht selten im Ende der Beziehung
- Das gleiche gilt für Gefühle von Liebe und/oder Verliebtheit zu anderen. Darin wird hier vielleicht noch stärker als bei offenen Partnerschaften ein Defizit der Beziehung gesehen, die deshalb dann beendet wird
Kurz zusammengefasst:
Freiheiten mit anderen gibt es nicht, was vielen Menschen ziemlich schwer fällt (ob bewusst oder unbewusst). Dafür entsteht hier schnell viel Nähe und Themen wie Eifersucht und Verlustangst können auch eine Zeit lang ruhen, ohne dass das direkt dramatische Auswirkungen hat.
Die Entscheidung: monogame oder polygame Beziehung?
In der Regel ist uns allen das monogame Beziehungsmodell sehr gut vertraut. Wir kennen es von unseren Eltern, Großeltern, Freunden und natürlich aus Hollywood.
Okay, aus Hollywood kennen wir entweder den Anfang davon (wenn das Schnulzenpärchen sich endlich gefunden hat) oder das Ende davon (wenn zu Beginn des Films jemand sitzen gelassen wurde und jemand neues sucht).

Meistens kommen also Menschen, die bislang monogam geliebt haben auf die Idee, es mal mit einem neuen Modell zu probieren.
Dann werden neue Regeln ausgehandelt, die das Liebesleben in Zukunft besonders glücksstiftend gestalten sollen.
Das Problem dabei:
Wir wechseln von einem „starren“ Modell ins nächste.
Und weitere Probleme lassen nicht lange auf sich warten…
Offene und polygame Beziehung: Was kann schieflaufen?
Da wir ja keine Erfahrung damit haben, eine polygame Beziehung zu führen, bekommen hochmotivierte Pärchen hier oft eine kalte Dusche nach der nächsten. Beispiele?
- Wir wissen nicht, was wir tun sollen, wenn wir nach dem heißen Liebesakt nach Hause kommen und uns daran erinnern, dass der Partner den Geruch der Affäre vielleicht weniger cool findet
- Nach dem vierten Treffen mit dieser neuen, unglaublich anziehenden Person fällt uns auf, dass wir da eigentlich doch mehr wollen. Aber will der Partner uns auch in dieser Dimension teilen?
- Wenn du Spaß hattest und feststellen musstest, dass dein Partner sich die ganze Nacht mit enormen Mengen seiner Tränen beschäftigt hat, löst das vermutlich auch ein ungutes Gefühl in dir aus
- Oder anders herum: Eine durchgeheulte Nacht stresst unglaublich, wenn man stundenlang wach liegt und sich fragt, ob der Partner überhaupt zurück kommt
Ich denke es ist offensichtlich, dass hier viele Stolperfallen warten, was die Erfüllung der Bedürfnisse der Partner angeht.

Und eigentlich erwarten wir uns von einer Beziehung ja vor allem das:
Sie soll uns dabei unterstützen, unsere Bedürfnisse und die unseres Partners möglichst im Einklang miteinander zu unterstützen!
Haben wir immer die gleichen Bedürfnisse?
Das Grundproblem an der Sache sind die starren Regeln. Wir nehmen unbewusst an, dass wir Bedürfnisse haben, die immer gleich sind.
Zum Beispiel, dass wir ständig das Bedürfnis nach Sex haben. Aber auch, dass wir ständig das Bedürfnis nach Zweisamkeit mit dem Partner haben.
Hier wird schon klar, dass das etwas realitätsfern ist. Wir haben ja auch nicht ständig Hunger und schon gar nicht können wir gleichzeitig satt sein und Hunger haben.
Warum akzeptieren wir es nicht also, dass sich auch in einer Beziehung die Bedürfnisse ändern können?
Warum machen wir es nicht zur Regel, die Regeln jederzeit miteinander neu aushandeln zu wollen?
So ganz frei von Konzepten und Ideologien?

Gibt es eine bessere Lösung?
Wie wäre es denn mit der Erkenntnis, dass jeder mehrere Phasen in seinem Leben hat, wo er oder sie sich so richtig ausleben möchte. Das Leben spüren, etwas Aufregendes erleben und die Sau rauslassen.
Egal, ob es die ausschweifende Party, Sex mit dem heißen Nachbarn oder die spontane Weltreise ist.
Wer hat diese Bedürfnisse nicht ab und zu?
Aber natürlich kennen wir auch alle Phasen, die eher von einem Ruhebedürfnis, Zweisamkeit und einem total langweiligen Wunsch nach Entspannung geprägt sind.
Wenn sich die Partner jetzt häufig darüber verständigen, welche Bedürfnisse gerade auf der Tagesordnung stehen, dann können Regeln tatsächlich ständig neu verhandelt werden.
Die „flexible“ Beziehung
Am Modell der monogamen Beziehung kritisiere ich immer, dass es ziemlich unrealistisch ist, sein ganzes Leben lang nur Sex mit dem Partner haben zu wollen und dass hier und da auch mal der Wunsch aufkommt, Gefühle der Verliebtheit (zu anderen Menschen) zu spüren – früher oder später!

Mein Bloggerkollege Ben Paul hat vor kurzem in einem Gespräch mit meinem Kollegen Tim Chimoy von dem Modell der freien Partnerschaft erzählt.
Ich möchte jetzt nicht schon wieder ein neues Modell inklusive Bezeichnung ins Spiel bringen, aber ich will den Kerngedanken daraus aufgreifen und hier weiterführen.
In Kontakt mit dem Partner
Stell dir vor, du hast gerade ein enormes Bedürfnis nach Sex. Mit deinem Partner, mit anderen, mit dir selbst. Es kann definitiv eine Lösung sein, mit dem Partner über dieses Bedürfnis zu sprechen.
Wie fühlt dein Partner sich mit diesem Bedürfnis von dir? Wie gut kommt er oder sie damit klar, wenn du dem folgst?
Und wenn du die andere Perspektive kennst:
Ist es für dich vertretbar, deine Bedürfnisse auszuleben? Oder braucht ihr mehr Zeit, Kommunikation, Vertrauen?
Ihr klärt dabei nicht nur das Ausleben eurer Bedürfnisse im richtigen Moment (dann, wenn das Bedürfnis da ist), sondern ihr bringt auch eure Beziehung enorm weiter und schafft Nähe.
Gleichzeitig ermöglicht ihr es euch, Bedürfnisse auch zu hinterfragen. Steckt hinter dem Wunsch nach Sex mit anderen Menschen vielleicht eher ein Mangel an Selbstwertgefühl, der auch anders „behoben“ werden kann? Oder treibt dich eher die Verlustangst in die Arme deines Partners?
Hier tun sich unglaubliche Entwicklungspotenziale auf!
Monogame Phase in polygamer Beziehung?
Das funktioniert aber auch anders herum:
Eine offene oder polygame Beziehung wird oft als Dogma behandelt, nach dem Motto „wir dürfen Sex mit anderen haben, also müssen wir es auch ständig tun“.
Wer’s nicht tut, ist uncool, hat ein Problem mit seiner Sexualität oder schlicht die Angst, vom Partner abgehängt zu werden.
Aber ist es nicht vielleicht vertretbar, dem Partner mitzuteilen, dass man gerade nicht so gut mit der sexuellen Offenheit zurechtkommt, wie man vielleicht am Anfang dachte?
Und wenn man trotzdem nicht wieder zur Monogamie zurückkehren möchte (das ist schwierig, wenn man einmal erkannt hat, dass das für einen selbst unrealistisch ist), kann man dann nicht um eine Phase der ausschließlichen Zweisamkeit bitten?
In dieser entspannten Phase kann man sich doch schließlich auch hervorragend um die persönliche Weiterentwicklung kümmern, die letztlich das Beziehungsglück steigert!
Fazit: Mehr Freiheit, weniger starre Beziehungsmodelle!
Ich schlage vor, dass wir ein Stück weit von Modellen, Dogmata und „-gamien“ weg gehen und uns weniger Versprechen für die Ewigkeit machen, die in jedem Fall unrealistisch und weit weg von temporären Bedürfnissen sind.
Stattdessen finde ich persönlich die Idee ziemlich gut, Netflix mal Netflix sein zu lassen und die eine oder andere Party mal vorbeisausen zu lassen.
Und stattdessen ein tiefgehendes Gespräch mit dem Partner zu führen. Über reale, momentane Bedürfnisse, die vielleicht einfach nur erfüllt werden wollen.
Was meinst du?
Viel Spaß auf dem Weg zu deiner glücklichen, aber nicht zu perfekten Beziehung!
Dein

PS: Danke an Ben für das schöne Gespräch und die hilfreiche Idee!